biography

 

 

2012

2007

2004 / 2005

2001

 

 

 

Geboren in Klagenfurt 1976

 

Lektorin an der Universität für angewandte Kunst

Diplom mit Auszeichnung bei Gabriele Rothemann, Universität für angewandte Kunst

Studienaufenthalt an der Bauhaus Universität, Weimar

Beginn Studium der Fotografie bei Gabriele Rothemann, Institut für Bildende und Mediale Kunst,

Universität für angewandte Kunst Wien

 

Schöne neue Welt

MITSPIELENDE

Uniformierte Personen(gruppen): hinten geknöpfte weiße Mäntel, die an Laborbekleidung erinnern, weiße Anzüge und weiße Bademützen – nicht das Individuum, sondern eine Variable für ein beliebiges Individuum gelangt zur Darstellung.Wie auf Anweisung oder zumindest aus Routine führen die so neutralisierten Figuren gleichförmige Handlungen aus. Sie folgen bestimmten Bewegungsmustern oder bilden Formationen, sind dabei einander zugewandt, als würden sie sich besprechen, wenn sie auch schweigsam wirken, verharren in dieser Konstellation, um sich in Folge wieder langsam aufzulösen, um eine neue Ordnung anzunehmen.Einige sind herausgehoben, ihre Bewegung ist in einer Pose stillgestellt, die wirkt, als sei sie die Akkumulation einer Bewegungsfolge. Die Körper sind angespannt und konzentriert, wie in Vorbereitung zum Absprung. Reifen und Schläuche bedingen manche Haltungen, die jedoch stets assoziativ bleiben.

DER HANDLUNGSRAUM

Geometrisch gegliederte flache Raumbühnen, die an El Lissitzkys Proun-Konzept denken lassen, dienen ihr dabei als Handlungsraum. Schwebende Flächen, Verbindungs- oder richtungsgebende Linien, Plattformen, Behältnisse, Hintergründe u.ä. können Wände andeuten, räumliche Relationen herstellen und auch konkrete Funktionen übernehmen, wollen aber nicht zu gegenständlich werden, sondern immaterielle Elemente bleiben, die die Akteurinnen umspielen und akzentuieren.

Das war nicht immer so: in „Human Processors“ (2010-11) etwa haben die Formen die Protagonistinnen regelrecht in ihre Posen gezwungen oder zumindest eine Wechselwirkung zwischen Körpern und Formen veranlasst. Und einer der neuen Titel, „Triade“ ruft nicht umsonst Oskar Schlemmers „Triadisches Ballett“ in Erinnerung und damit die Assoziation mit dem von starren Kostümen in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkten Körper oder im übertragenen Sinn, der von Fließbandarbeit, Bürokratie und Massengesellschaft „bedrängte“ Körper , wie in Schlemmer vor Augen hatte. Sein Ballett war in dieser Hinsicht vergleichbar: eine „optische Komposition“ aus mechanischen Bewegungen ohne Handlung.

DER CODE

Nina Rike Springer arbeitet mit einem Zeichensystem aus Figuren bzw. Posen. Sie sind aus alltäglichen Verrichtungen abgeleitet, aber doch so diszipliniert, als wären sie die ultimativen Äußerung einer bestimmten Handlung. Gleichzeitig sind sie abstrakte Zeichen. Sie wollen sich keiner konkreten Deutung beugen, aber deuten manchmal Befindlichkeiten, wie Erschöpfung und Aufbruch an.

Die im Studio aufgenommenen Posen werden zum Vokabular, mit dem Nina Rike Springer ihre schöne neue Welt beschreibt. Lissitzkys „Proun“ war eine Wortschöpfung, mit welcher er, „eine Station auf unserem Wege zu neuen Formen“ beschreiben wollte, Nina Rike Springers Figurensystem bevölkert nun eine solche neue Welt der Formen. Die Verwendung des Körpers als Zeichen reicht in die frühesten Serien zurück. Auch die Badehaube als Uniform für den Kopf ist von Anbeginn dabei: auf einem Flohmarkt erstmals in orange und blitzblau erstanden, ist sie seither ständige Begleiterin.

SCHÖNE NEUE WELT

Die Fotografien der Serie „Schöne neue Welt“ nehmen uns auf eine Reise in eine phantastische Welt mit, die Aldous Huxleys zivilisationskritischen Impetus von 1932 aber relativiert.

Die maßgeschneiderten Bürgerinnen begleiten uns von einer Station zur nächsten, von „Grummet“, wo geschnittenes Gras wie in einem Labor zu einer rituellen Weiterverarbeitung gelangt und an Radek Knapps „Nahrungsfabrik“ erinnert, über die „Generalprobe“ bis zum „Manöver“ – die Hinweise, die in den Untertiteln stecken, deuten auf eine vom Alltag inspirierte aber enthobene Welt hin, in der es um Versorgung, um Verbindungen, Versuche, Versammlungen, geht – die Intentionen bleiben für den außenstehenden im Verborgenen. „Die müde Heldin“ ist eine der wenigen dezidiertenZuschreibungen: die Beine sind wie Prothesen vor dem zu-Bett-Gehen zur Seite gestellt, die Arme als Zeichen der Zurückgezogenheit vor dem Körper verschränkt, das Haupt vor Erschöpfung gebeugt – es scheint, als dürften wir in der Heldin die Künstlerin wiedererkennen, die mit Spaß, aber auch mit Ungewissheit als Teil einer reglementierten Gesellschaft sich immer neu inszenieren muss.

Ruth Horak

 

Human Processors

Nina Rike Springers neue Werkserie trägt den Arbeitstitel „Human Processors“ und dieser Begriff beschreibt auch das primäre Anliegen der Künstlerin sehr gut. In Weiterentwicklung ihrer, mittlerweile zum Stil werdenden Kombination aus strenger geometrischer Komposition und dynamisch Menschlichem - dieses wird in den Verrenkungen der Posen der Figuren verdeutlicht - bearbeitet sie ein weiters Mal das Thema Mensch-Technik, einem der Brennpunkte zeitgenössischer Befindlichkeit. Es gibt mehrere Bedeutungen von „Prozessor“: einerseits kann es eine Software sein, die Input zu Output verarbeiten kann, andererseits versteht man meist einen Bauteil eines Computers, der über Software andere Bestandteile steuert. Beides passt: einerseits eine eigene Sprache andererseits das Vehikel diese Sprache an ihr Ziel zu bringen: Es geht immer um Transformation, ums Verbinden von zwei ursprünglich nicht zusammenpassenden Komponenten. Die Figuren müssen oder wollen sich verrenken um zu den sperrigen Geo-Elementen zu passen. Optisch ergeben sich neue Aspekte: die Grenzen der reinen inszenierten Fotografie müssen gesprengt werden, trotz Skepsis der Künstlerin muss die Hilfe von Computertechnik angewandt werden um die zunehmend komplexen Kompositionen zu verwirklichen. Unter sehr genauem Abwägen der Mittel, bei der ein zu wenig genauso verheerend wirken kann, wie ein zuviel, entstehen sensible, doch lebensbejahende Bildwerke von etwas anonymisierten Menschen in ihren jeweiligen Wirkungskreisen, ihren „Prozessoren“.

Josef Florian Krichbaum zur Ausstellung Human Processors - PERSONALE 2011, Künstler

 

Lucid Episodes

Die Fotografin und Videokünstlerin, früher selbst Tänzerin, untersucht in ihren medienanalytischen Inszenierungen mit einem Augenzwinkern den Einsatz von Körpern und die Funktionsweisen von Bildräumen. Sie konzipiert durch das Agieren mit Objekten Bilder eines zunächst scheinbar um sich selbst kreisenden Universums, das jedoch auf Bildwelten des Konstruktivismus und Dadaismus anspielt. Das Aufleuchten der farbigen Bildelemente in den dunklen Bildräumen ist präzise durchkomponiert, während die AkteurInnen scheinbar am Kippmoment zwischen Preisgeben und Verbergen inne gehalten haben. Die Variationen von Farben und Formen, von Stillstand und Bewegung wirken wie Dokumente einer ad absurdum geführten Versuchsanordnung. Es sind Einzelbilder, Serien und Triptychen zwischen angedeuteter Dramatik und Witz, zwischen barockem Faltenwurf und Badehaube. Doch die Konfusion ist genau dosiert, die Clownerien verlieren sich nicht im Klamauk. Leere und Opulenz, An- und Abwesenheit sind subtil austariert. Die klassischen Mittel der ausgewogenen Bildkomposition kommen zum Einsatz. Aufgeworfene Stoffe, Gestik und Mimik spielen auf kunstgeschichtliche Muster an, doch die dadurch bei den Betrachtenden ausgelösten Versuche der Bedeutungszuordnung führen ins Leere bzw. in artifizielle Metaräume. Auf den selbstreferenziellen Bühnen erscheinen die Körper in ihren monochromen Kleidungsstücken objekthaft, wie Abstraktionen ihrer selbst. Handlungsräume werden zu reinen Bildräumen, es entsteht eine Ambivalenz zwischen Inszenierung und Abbild. Eventuell sind Nina Rike Springers Bilder jedoch auch schlichtweg gute Parodien auf bedeutungsschwere Interpretationen inszenierter Fotografie.

Stefanie Hoch, Triennale Linz 1.0, Kuratorin Landesgalerie Linz, 2010

 

Ausschlaggebend ist die Ansicht

Konfusion als Auswirkung in jeglicher Kommunikation und in unterschiedlichen Sprachen versucht Nina Rike Springer in ihren Ausstellungen durch Foto- und Videoarbeiten zu verdeutlichen. Keinen Sinnverlust, sondern eine Zirkulation der visuellen Wahrnehmung des eigenen „Ichs“ mit der ständig bewegenden Umgebung bringt Springer mit heiterer Leichtigkeit in ihren Arbeiten zum Ausdruck. Alles ist erleuchtet bis in die letzten Winkel eines Ausstellungsraumes, wenn Springer ihre konzeptuelle Kunst präsentiert. Alltägliche Wohn- oder Alltagsgegenstände beziehungsweise der menschliche Körper werden von ihr als Ausgangspunkt ihrer arbeitstechnischen Motivation gesehen. Wenn sie etwas sieht, hat sie ein farblich starkes Bild im Kopf – eine Art von Abstraktion. Fotografie ist für die mehrfach ausgezeichnete Kärntnerin keine einsame Dimension: für sie ist es das Finden, die Annäherung an Projekte und schließlich die Umsetzung und die Bearbeitung. Springer ist vom strahlenden Licht, den üppigen Farben und der schlichten Würde eines leeren Raumes beeindruckt. Nichts und Alles, das natürlich Gegebene, bilden den Erzählbeginn von Springers Kompositionen. Die ehemalige Tänzerin setzt dabei auf den möglichen Eintritt von einem überraschenden Moment. Thomas Mann sagte einmal in einem seiner Tagebücher: „ Die Leute lieben die Kunst am meisten, die am unmenschlichsten ist.“ Dies ist sicherlich kein Markenzeichen von Springers Vorhaben. Als Merkmal in ihren Bildern werde der Betrachter nie ein richtig tiefes Trauriges oder ein helles Fröhliches finden, denn das wären Extreme. Aber für Springer teilt sich die Welt sowieso nicht in so klare Standpunkte, sondern es geht ihr um die Nuancen der Zwischentöne. Die Anwesenheit von Menschen in unterschiedlichen, jedoch schlicht gehaltenen Bewegungsabläufen prägt und trägt die langjährigen Animationen, Video-, Tanz- und Fotoarbeiten. Weil für sie immer mehr die Ambivalenz zwischen Bild und Abbild interessiert, versucht sie, den Menschen weniger als Wesen, sondern als Objekt zu begreifen, mit dem sie als Subjekt selbst in Korrespondenz tritt. In ihrem gesamten Œuvre versteht sie es, das Medienspezifische zu betonen, also nicht die Reduktion auf das rein Technische der Situation/Umgebung. Sie verstößt ein wenig gegen die Regeln des guten abstrakten Geschmacks. Ihre Formen beschwören keine Koryphäen der klassischen modernen Multimediakunst. Denn ihr Stil ist von nachvollziehbaren Erlebnissen aus alltäglichen Situationen förmlich verständlich, jedoch überrascht sie mit neu gedachten Zugängen, wie essen, trinken, sitzen oder sich unterhalten über die „normale“ Tätigkeit aufgenommen wird. Bewegung oder Stillstand als emotionaler Zustand, Übergänge zwischen realem und virtuellem Raum und in Komposition mit Alltagsgegenständen sind Springers Modus Vivendi. Ein massives Objekt, ständig in einer starken Wechselwirkung mit der Bewegungsart der Person, starke Farbkontraste und fein angeordnete Nebendetails bilden den Rahmen. Ein ernsthafter Diskurs mit dem Alltag gepaart mit infantiler Clownerie und individualmythologischer Selbstinszenierung zieht sich wie ein roter Faden gelungen durch die Arbeit. Der bedeutende französische Maler Eugène Delacroix hat gesagt, die erste Pflicht eines Bildes ist es, ein Fest für das Auge zu sein. Seit die Fotografie erfunden wurde, konnte mit ihr sehr detailliert aufgezeigt werden, wie unendlich weit der Mensch in seiner Lebensumgebung gefächert ist. Springer schafft beide Elemente.

Alexander Lass, artmagazine.cc zur Ausstellung LUCID EPISODES - PERSONALE, 2009

 

Nina Rike Springer - Personale

Fasziniert von den Abläufen und Ritualen, die das gesellschaftliche und soziale Miteinander charakterisieren und prägen, geben uns die Fotografien von Nina Rike Springer einen Einblick in alltägliche Verhaltensweisen und Handlungsmuster. Ähnlich wie ein Wissenschaftler blickt die Künstlerin aus einer kritischen Distanz und mit skeptischer Ironie auf ihre Umwelt. Angeregt durch ihre Beobachtungen entwickelt sie fremd wirkende Handlungsabläufe und Szenarien, die sie in ihren fotografischen Serien und Videos umsetzt. Die Fotografien zeigen meist weibliche Figuren in bunter Kleidung, die mit großem Ernst absurd und skurril wirkenden Tätigkeiten nachgehen. Ihre Aktionen scheinen parodistische Imitationen uns geläufigen Handelns zu sein. Neben der oft unfreiwilligen Komik, die unserem Tun innewohnt, wird auf diese Weise auch die Poesie des Alltags sichtbar. Die handelnden Personen auf den Fotografien von Nina Rike Springer befinden sich vor einer zumeist weißen, monochromen Fläche. Vor dem räumlich unbestimmten Hintergrund setzen die starkfarbige Kleidung der Figuren und einzelne, gleichfalls bunte Gegenstände deutliche Akzente und betonen zugleich die Künstlichkeit der mit hohem Gestaltungswillen inszenierten Fotografien: Die Aufnahmen lassen sich auch als abstrakte Kompositionen lesen. Erst beim zweiten Hinsehen erkennen wir in den ungegenständlichen farbigen Strukturen und Mustern eigenwillig bunt gekleidete Menschen in komischen Haltungen. In einer ihrer neuesten Werkgruppen lässt Nina Rike Springer bewusst Einflüsse vergangener Epochen der Kunstgeschichte zu. Die Aufnahmen zeigen eine oder mehrere Figuren, die sich um einen Tisch versammelt haben. Der Hintergrund ist nun ein warmes Braun, der Tisch ein Möbel aus gleichfalls dunklem, warmtonigem Holz. Lichtsetzung und Schattenwurf verraten die Kenntnis der Gemälde Rembrandts. Das sei, so die Künstlerin, das spannende an inszenierter Fotografie: Man könne seine Szenerien wie ein Maler planen und bauen. Eine Fotografie, das zeigen die Aufnahmen von Nina Rike Springer deutlich, gibt uns kein Abbild der Welt. Sie konstruiert vielmehr eine eigene Wirklichkeit. Diese kann der uns vertrauten ähneln oder diese imitieren. Sie kann sich aber auch gravierend von ihr unterschieden. Diese Erkenntnis vermittelt uns die Künstlerin jedoch nicht mittels trockener Didaktik, sondern mit humorvollen und farbenfrohen Bildern, die unseren Sinnen ungewohnten Augenreiz bieten.

Galerie Nikolaus Ruzicska zur Ausstellung, Nina Rike Springer - PERSONALE, Mai 2008

 

Momentum. Photographie

Dies ist die erste Ausstellung in der Galerie Momentum. Ich denke, Ort und Namen sind gut gewählt, nicht nur weil mit Nina Rike Springer einer sehr jungen Künstlerin eine erste Ausstellungsgelegenheit geboten wird, sondern weil der Name gewissermaßen zum Programm erhoben wird. Und dies in zweierlei Hinsicht. Die Bezeichnung ist erstens Motto des Ausstellungsortes für zukünftiges Engagement in Sachen Fotografie, aber auch zweitens geeignete Kennzeichnung für Springers Werk. Momentum ist nämlich ein Wort im Spannungsfeld, es ist ebenso schlagkräftig wie bedenkenswert. Bekanntlich leitet sich Momentum von Bewegung ab, aber auch von Stillstand, und dem Einhalten von Bewegung. Das heißt, der Begriff bezeichnet sowohl etwas wie auch sein Gegenteil und steht damit an der Schneidelinie des eigenen Widerspruchs. Zu erklären ist die seltsame Ambivalenz durch den Zeitschnitt, d.h. den Schnitt durch eine Bewegung, den wir gewöhnlich auch als Moment ansprechen. Der Bezug zur Fotografie liegt auf der Hand. Denn eigentlich ist die Fotografie immer ein solcher Schnitt durch eine Bewegung. Fotografien geben keinen Ort wieder, wie man vermeintlich glauben möchte, sondern eben Ausschnitte aus der Zeit. In der Phasenfotografie des 19. Jahrhunderts versuchte Edward Muybridge durch Zerlegung den Beweis für bestimmte Bewegungsabläufe zu liefern, vor allem für solche, die so rasch ablaufen, dass es für das Auge unmöglich ist, sie zu unterscheiden oder auszufiltern. Muybridge beschäftigte sich mit dem apparativen Nachweis der Natur, zum Beispiel mit der Frage, ob ein Pferd im Galopp in einem Augenblick alle vier Hufe in der Luft hält, und sozusagen für kurze Zeit fliegt. Dass dies tatsächlich der Fall ist, konnte seine Art der fotografischen Zerlegung beweisen. Es war wenig später der Film, der aus den getrennten Schnitten wieder eine einheitliche Bewegung machte. Aus den Momenten einer Bewegung wurde über den filmischen Transport wieder ein Motus, ein Bewegtes. Wichtig dabei ist, dass der Schnitt zwischen den Bildern im Film unsichtbar wird. Die einzelnen Kader und ihre Unterschiede werden durch die Geschwindigkeit des Abspielgerätes verborgen, der fugenlose, oder wie Henri Bergson sagte, bruchlose Schnitt wird im Film verheimlicht. Für Nina Rike Springer spielen diese Überlegungen eine Rolle, doch die junge Fotografin bearbeitet sie nicht an der Apparatur, sondern am Motiv. Wenn man so will, fügt sie dem Moment und dem Motus noch eine dritte Komponente hinzu, die gleichsam die strukturellen Voraussetzungen der Fotografie in inhaltliche Illustrationen übersetzt. Springers Arbeit am Motiv ist im Besonderen jener Serie zu entnehmen, welche als Edition von Momentum feilgeboten wird. Kopflast zeigt die Autorin in mehreren Stationen durch ihr Sofa kriechen. Die Dreiteiligkeit des Möbels ist unverkennbar eine Anspielung auf die Segmentierung der Phasenfotografie. Springers ungewöhnliches Benehmen zwischen und unter den Fugen der Polster ist eine Mimesis ihres holprigen und unorganisch wirkenden Bewegungsgeschehens. Was die Fotografien im Selbstversuch demonstriert, ist nicht der Nachweis für das Natürliche, sondern umgekehrt der Beleg für das Unnatürliche, Artifizielle, welches die Fotografie dem Wirklichen aufdrängt. Dies betrifft vor allem den Aspekt des Zeitlichen, der durch diese Um- und Übersetzung weder verheimlicht noch verborgen wird, sondern über den Umweg ins Motivische zum ironischen Thema wird. Wer genau hinsieht, dem wird nicht entgehen, dass manche der Haltungen nicht möglich sind. Die Darstellerinnen und Darsteller sind zur Seite gedreht, gebückt, verrenkt oder drohen zu fallen. Bewegung in der Fotografie ist nur als Moment fassbar. Was technisch unvermeidbar ist, wird Springer zur Tugend und ästhetischen Neigung. Tatsächlich sind einige der Protagonisten im Fallen aufgenommen, in ungewöhnlichen Schräglagen, so als wären sie Puppen, die an einen Faden geheftet sind. Ermöglicht werden diese ungewöhnlichen Stellungen durch die Mittel der Apparatur und den Stillstand des Motivs, mithin die Voraussetzungen der Fotografie. Anders aber als Muybridge, der das Geschehen didaktisch in Bildserien aufreiht, bleiben die Handlungen von Springers Darstellern mysteriös, isoliert und ambivalent, wie eben der Moment, in dem sie festgehalten sind. Um die Paradoxie ihres Tuns zu unterstreichen, verändert die Fotografin die Figuren noch in anderer Hinsicht. Nicht allein die Bewegungen, die eigentlich keine sind, und die Kostüme, die bunt und kontextlos sind, erscheinen merkwürdig und surreal, auch die Räume und Zeichen, die sie umgeben. Die Auftritte erfolgen auf leeren, weißen Bühnen, auf denen die behäbigen Körper der DarstellerInnen, ihre eng anliegenden Hauben und weiten Pluderhosen umso verschrobener wirken. Springer, die in der Klasse von Gabriele Rothemann an der Universität für Angewandte Kunst ausgebildet wurde, lässt stets offen, um welche Art von Menschen es sich in ihren Inszenierungen handelt, in welchem Zustand sie sich befinden und vor allem welche Absichten, also Motive, sie eigentlich hegen. Die Gesten sind dabei ebenso ambivalent wie der Schnitt in der Zeit. Sie scheinen an der Scheidelinie der Bedeutung zu stehen. Denn von manchen Gebärden nimmt man an, sie würden uns etwas mitteilen, andere wiederum widersetzen sich Verstehensbemühung und Sinn. Im Gespräch teilt Springer mit, dass es ihre Absicht sei, Situationen und Handlungen darzustellen, die dem Alltag entnommen sind. Sie wolle Handlungen zeigen, die im gewöhnlichen Umfeld sinnvoll sind, jedoch übersetzt in das Medium der Kunst, willkürlich, bizarr und offen für Interpretationen erscheinen. Es handelt sich in diesen Fotos nicht direkt um Handlungen, - Springers Motive haben kein erkennbares Motiv -, sondern um nachgeahmte Handlungen, genau: um künstliche und künstlerische Handlungen, die zweckvolle und alltägliche Handlungen imitieren. Über die clowneske Mimesis provoziert Springer erhebliche Irritationen. Da die Figuren keiner sinnvollen Tätigkeit nachzugehen scheinen, nicht miteinander kommunizieren, und die Räume, in denen sie sich befinden, bühnenhaft hygienisch wirken, denken wir an theatralische Auftritte, an Schauspieler und Proben, noch mehr aber an pantomimische Figuren. Dies auch der Grund, warum einige der Fotos stumm wirken. Springer vermeidet Sprache, beschränkt sich auf (stillestehende) Bewegungen, Gebärden und Gesten. Das heißt, Springers Mimesis ist eine Art der Pantomimesis. Um noch einen letzten etymologischen Hinweis zu geben: Pantomimik kommt aus dem Griechischen und bedeutet, eigentlich alles nachahmen. (gr. pantómimos = der alles Nachahmende). Springer ahmt aber nicht alles nach, sondern weniges, um alles zu ermöglichen. Aus den unerschöpflichen Möglichkeiten menschlicher Handlung werden wenige ausgesucht, die besonders sind, also Momente, die Motiv werden können, und solcherart auf die allgemeine Befindlichkeit des Menschen, die generelle Struktur von Bildwerdung und Nachahmung und auch noch die Geschichte der Fotografie zu verweisen, mithin den Zusammenhang von Motiv, Motus und Mimesis zu illustrieren. Dieser umfangreiche Komplex wärs für den Moment, aber sicher nicht für die Zukunft, weder für Springer noch für Momentum.

Zitat von Thomas Trummer zur Ausstellung KOPFLAST - PERSONALE, Kurator für moderne und zeitgenössische Kunst an der Österreichischen Galerie Belvedere 2006 - 2007, 2006